Von der Flasche zur Karaffe

Die bekanntesten polnischen Exportunternehmen der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts waren die Firmen J. A. Baczewski und E. Wedel. Dass die Firma Wedel bis heute besteht, weiß jeder. Weit weniger Menschen wissen jedoch, dass auch die zweite Firma weiterbesteht: sie heißt heute Altvater Gessler – J.A. Baczewski GmbH, und ihre aktuelle Geschäftsadresse befindet sich in Wien.

Die Geschichte der Marke geht auf das Jahr 1782 zurück, als die Familie Baczewski bei Lemberg eine Alkoholdestillerie eröffnet. Der Sohn des Gründers, Leopold Maksymilian Baczewski, verlegt die Firma 1810 nach Lemberg, eine Stadt, die zur damaligen Zeit eine wahre Hochburg der Spiritusindustrie war und in der sich zahlreiche solcher Unternehmen befanden. Baczewski war ein umtriebiger Unternehmer, der sehr an Neuerungen in seinem Zweig interessiert war.
Das Unternehmen stellte die verschiedenen Spiritussorten nach den damals modernsten Verfahrenstechniken her und waren somit weit besser als jene der Konkurrenz. Dadurch erlangte die Firma im gesamten österreichisch-ungarischen Kaiserreich Ansehen. 1810 wurde das Unternehmen mit Kaiseradler ausgezeichnet und war somit berechtigt, seine Flaschenetiketten mit der Aufschrift K.u.K.-Hoflieferant zu versehen.
In den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts erbte der Urenkel des Firmengründers, Jozef Adam Baczewski, das Unternehmen. Die Initialen seines Namens finden sich bis heute im Firmennamen. Er brachte mutige Ideen in das Unternehmen ein. Den Erfolg verdankte Baczewski seinen Werbemaßnahmen, wahrhafte Pioniertaten. Es wurden Werbekampagnen in Tageszeitungen gestartet, es entstanden humoristische Broschüren, kleine Fläschchen mit Wodka wurden verteilt. Eine bemerkenswerte Marketingstrategie verband das Unternehmen mit seinem Mitstreiter Piotr Smirnoff in Moskau. Auf den Flaschen der Firma Baczewski fand sich die Aufschrift „Der einzige Wodka, der jenem von Baczewski gleichkommt, ist der russische Wodka von Piotr Smirnoff aus Moskau.” Smirnoff versah seine Flaschen mit einem Etikett, auf dem zu lesen war: „Der einzige Wodka, der jenem von Smirnoff gleichkommt, ist der Wodka von Baczewski aus Lemberg.“ Gibt es eine bessere Methode, als Wodka auf Wodka zu bewerben?
Die Baczewskis verstanden schnell, dass es nicht ausreichte, Flaschen mit Alkohol abzufüllen und auf den Erfolg zu warten. Deshalb begannen sie, ihre Produkte in eigene Karaffen zu füllen. Auf der Landesausstellung im Jahr 1894 stellte das Unternehmen seine Produkte vor, die nun in neuen Flaschen verkauft wurden, die die Gestalt einer Karaffe hatten, und dies in einem Pavillon, der ebenfalls die gleiche Form hatte. In ganz Europa konnte Erfolg verbucht werden. Die Spirituosen wurden in Paris, Wien, Moskau und London bekannt.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges machte die Firma eine Reihe von Verwandlungen durch. Die Modernisierung der Produktion sowie eine geschickte Führung bringen das Unternehmen auf den Zenit seines Erfolgs. Die Erzeugnisse gelangten bis nach Kanada, Südamerika und Australien. Baczewski war der erste Alkoholproduzent, der den Luftverkehr als Transportweg nutzte.
Das über viele Jahre angehäufte Vermögen der Firma wurde 1939 erst während der Bombardierung Lembergs durch die deutsche Luftwaffe zerstört, anschließend wurde sie von den sowjetischen Belagerern geplündert. Die neuen Machthaber brachten die Spirituosen wagonweise nach Moskau. Auf tragische Weise kamen Adam und Stefan Baczewski ums Leben.

Vor dem Zweiten Weltkrieg befanden sich auf dem gesamten europäischen Kontinent verteilt mehrere Produktionsfabriken der Baczewskis, so z.B. in Bielsko-Biala. Leider wurde diese während des Krieges zerstört, und nach 1945 fielen die polnischen Firmen dem Staat zu. Zum Glück gelang es Edward Gessler, die alten Rezepte zu retten und so wurde die Produktion in einer österreichischen Fabrik, die nicht dem Krieg zum Opfer gefallen war, wieder aufgenommen. Das Anliegen der Familie Baczewski, ihre Erzeugnisse immer in Polen herzustellen, war nunmehr ein Ding der Unmöglichkeit geworden, da das kommunistische Regime das Monopol auf die Alkoholerzeugung hatte. Nach dem Krieg erhielt das Unternehmen das Markenrecht und 1956 wurde gemeinsam mit Elisabeth Gessler unter dem Namen „Altvater Gessler – J. A. Baczewski GmbH“ die Produktion in der österreichischen Niederlassung der Firma wieder aufgenommen. Bis heute wird in der Strobelgasse 2 im ersten Wiener Gemeindebezirk Alkohol hergestellt, u.a. der bekannte Kartoffel-Wodka „Monopolowa“. Die Wiener Niederlassung ist die einzige, die bis heute bestehen blieb.
Baczewski war die erste polnische Firma, die Spiritus in Großproduktion herstellte. Erzeugnisse wie Krupnik, Piołunówka, Malinowa, Wiśniówka, Perła, Bernardine Imperiale und Rosolisy waren sehr begehrt. Das Getränk Rosolis hat nicht nur einen klingenden Namen, auch seine Zusammensetzung kann sich sehen lassen: Zimt, Muskatblüte, Anis, Rosmarinblüte, Lavendel, Salbei und Nelke setzen sich zu einem Getränk mit ganz eigenem Geschmack zusammen. Das bekannteste Produkt des Unternehmens ist der Kräuterlikör „Altvater“.
Die Marke Baczewski wird auch heute noch weltweit geschätzt. Allein in den USA verkauft die Firma jährlich über 1 Million Liter Alkohol. Seit Juli 2011 sind die Erzeugnisse auch auf den polnischen Markt zurückgekehrt, wo eigens für die Rückkehr aus dem Ausland entworfene Karaffen die polnischen Geschäfte erobern.
Die Firmeneigentümer bekräftigen immer wieder, wie wichtig ihnen die Tradition rund um den Namen Baczewski ist, der auch heute noch auf den Flaschenetiketten prangt. Die Familie verlor Haus, Fabrik, Heimat, sie geriet sogar in Vergessenheit, die Tradition jedoch blieb, und zu ihr kehrt man nun zurück.

Wir trafen uns mit Rasiel Gessler, dem derzeitigen Firmeninhaber, zu einem Gespräch. Er erzählt, dass er sich selten zu einem Interview überreden ließe, zumal die Geschichte seiner Familie schwierig und sehr schmerzhaft sei.

Erinnern Sie sich an die Firmenniederlassung in Wien?
Die Fabrik in Wien war sehr klein und der Großteil der Arbeiten wurde von Hand ausgeführt. Sie war nicht so modern oder so groß wie jene in Lemberg. Ich erinnere mich, wie ich als Siebenjähriger durch die Fabrik ging und die Arbeiter dabei beobachtete, wie sie Kleber auf die Etiketten auftrugen und anschließend auf die Flaschen klebten. Etwas, was ich nie vergessen werde, ist der wunderbare Duft, der die gesamte Fabrik erfüllte, der Duft der Spirituosen. Bis zum heutigen Tag, und das heißt 53 Jahre später, denke ich jedes Mal, wenn ich eine Flasche Altvater oder Krupnik öffne, an diese längst vergangenen Tage.

Welcher war Ihrer Meinung nach der wichtigste Zeitraum für das Unternehmen?
Aus unternehmerischer Sicht würde ich sagen die Gegenwart. Über die Zeit vor dem Krieg weiß ich nicht viel, da ich erst 1953 geboren wurde, und jene Menschen, die etwas zur damaligen Zeit sagen könnten, sind bereits verstorben. Die einzige Ausnahme war mein Großvater, Edward Gessler, der als einziges Familienmitglied den Krieg überlebt hat. Er hat nie über den Horror des Krieges gesprochen, genauso wenig mein Vater. Er war Zeuge unvorstellbaren Ungeheuerlichkeiten. Wir sind in die USA ausgewandert, als ich 11 Jahre alt war. Danach habe ich meinen Großvater nur noch wenige Male gesehen. Er verstarb, als ich 26 Jahre alt, während ich in San Diego studierte. Einige Jahre später erfuhr ich von unserem Familienunternehmen, vor allem von meinem Vater. Es existierten Dokumente und andere Quellen, die dank meines Großvaters den Krieg überstanden hatten. Das wichtigste Überbleibsel war das von meinem Großvater handgeschriebene Rezeptbuch. Es war verschlüsselt, damit die Rezepte nicht gestohlen werden konnten. Die Gegenwart empfinde ich als die faszinierendste Zeit unseres Familienunternehmens, in der wir nun begonnen haben, etwas wiederaufzubauen, was während des Krieges zerstört wurde. Ich schätze, dass wir die nunmehr 12. Generation meiner Familie sind, die das Unternehmen führt. Das gibt Grund zum Stolz, und dieser soll auch den nachfolgenden Generationen vermittelt werden.

Werden Baczewski und Gessler ihre Produkte jemals wieder in Polen herstellen?
Aus logistischen, rechtlichen und persönlichen Gründen produzieren wir in Wien. Und das wird auch in der Zukunft so bleiben. Nichtsdestotrotz wissen wir um unsere Verbindung mit Polen und um unsere Herkunft. Wir möchten diese Verbindung stärken, weshalb wir die Zusammenarbeit mit einigen polnischen Firmen aufgenommen haben, die einige für unsere Produktion unabdingliche Elemente herstellen. Im Augenblick stellen wir Geschenkpakete mit dem Namen „J.A. Baczewski Vodka Monopolowa Christmas Gift Boxes” her, die in den USA verkauft werden. Die Geschenkboxen enthalten Schnapsgläser mit einem speziellen Aufdruck, die in Polen hergestellt und anschließend nach Österreich gebracht werden.

Wie denken Sie über Ihre polnische Herkunft?
Meine Großeltern, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, waren Polen. Mein Großvater diente während des Polnisch-Sowjetischen Krieges 1920 der Armee. Soweit mir bekannt ist, lebte meine Familie bereits seit Jahrhunderten in Polen. Dennoch ist etwas anderes, über diese Dinge Bescheid zu wissen, als sich innerlich polnisch zu fühlen. Obwohl ich mir immer meiner polnischen Herkunft bewusst war, wurde mir das Polentum nicht vermittelt. Wir lebten in den USA, Polen befand sich hinter dem Eisernen Vorhang. Ich weiß nicht genau, was die polnischen Wurzeln für mich bedeuten, aber ich denke, dass mir meine Werte, meine moralischen Wertvorstellungen, meine Fürsorge für andere von meinen Eltern, Großeltern und Vorfahren vermittelt wurden.

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